Nazi-Zeit: Zwangsarbeit

NS-Zwangsarbeit war ein allgegenwärtiges Verbrechen. Allein in Berlin existierten ca. 3000 Zwangsarbeitslager vom Barackenlager zu umgenutzten Gebäuden.

Ab 1939/40 produzierten und reparierten die Firmen Weser Flugzeugbau GmbH und Lufthansa auf dem Tempelhofer Feld Kampfflugzeuge für die Luftwaffe. Mehrere tausend Menschen aus ganz Europa wurden zur Arbeit für die NS-Rüstungsindustrie gezwungen. Über 2000 von ihnen waren in drei Lagern auf dem Feld eingesperrt.

Über die Lager und die Rüstungsproduktion berichten vor allem Quellen der Täter:innen, so etwa Baupläne mit Beschriftung der einzelnen Lagerbereiche oder Berichte etwa des NS-zeitlichen Werksdirektors der Firma Weser Flugzeugbau GmbH. Luftbilder aus den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges, angefertigt von der britischen Royal Air Force, zeigen Baubestand und aus der Luft sichtbare Nutzungsspuren zum Zeitpunkt der Aufnahme. Nur von wenigen ehemaligen Zwangsarbeiter:innen sind Berichte über ihr Leben in den Barackenlagern und Produktionshallen bekannt. Eine Polin, die zum Zeitpunkt ihrer Verschleppung nach Berlin gerade 15 Jahre alt war, beschrieb das Gedränge in den Barackenstuben und die unzureichende Ernährung. Während der Grabungen lud die Berliner Geschichtswerkstatt einen ehemaligen Zwangsarbeiter aus Polen ein, der als Kind in Tempelhof arbeiten musste.

Ziel der Ausgrabungen war es, einen tieferen Einblick in die Infrastruktur der Lager, vor allem aber in die Wohnsituation und den Alltag der Zwangsarbeiter:innen zu erlangen. Wir konnten die Luftfotos und Lagerskizzen als Anhaltspunkte für die Positionierung der Ausgrabungsareale nutzen. Erforscht wurden drei Zwangsarbeitslager.

• Das „Richthofen-Gemeinschaftslager“ der Firma Weser Flugzeugbau GmbH direkt am Columbiadamm am Nordrand des Flughafengeländes;

• das „Lilienthal-Lager“ der Lufthansa, ein kleineres Lager südlich der heutigen Friedhofsmauer des Columbia-Friedhofs;

• und das Lager „Berliner Straße“, ebenfalls von der Weser Flugzeugbau unterhalten und am heutigen Tempelhofer Damm unweit des S-Bahnhofs Tempelhof gelegen.

Überblick über die Lager auf dem Tempelhofer Feld

Richthofenlager

Von 1941 bis zur Befreiung durch die Rote Armee im April 1945 bestand ein Barackenlager entlang des heutigen Columbiadamms. Es war von der Straße durch eine Zaunanlage abgegrenzt. Der Großteil dieser als „Richthofen-Gemeinschaftslager“ oder auch „Richthofenlager“ bezeichneten Anlage wurde von der Weser Flugzeugbau GmbH genutzt, ein kleinerer Teil von der Lufthansa.

Wegen mangelnder historischer Quellen wissen wir nur wenig darüber, wer die Menschen im Richthofenlager waren. Pläne zeigen die Ausdehnung der Anlage, Sie informieren auch darüber, welche Zwangsarbeiter:innen hier untergebracht waren: französische Kriegsgefangene und Arbeiter:innen aus der Sowjetunion, aber auch Mitglieder der deutschen Belegschaft. Berichte von Zeitzeug:innen und historische Dokumente deuten an, dass auch Kinder in dem Lager lebten.

Ausgrabungen zwischen Baracken, die nach NS-Bauzeichnungen für „russische Männer“ bestimmt waren, legen außerdem nahe, dass hier nicht Zivilisten, sondern Kriegsgefangene eingesperrt waren. Unterirdisch verlegter Stacheldraht, der zwischen den Gebäuden gefunden wurde, entspricht den Bauvorschriften des Nazi-Regimes für Unterkünfte gefangener Soldaten.

Archäologische Untersuchungen im Richthofenlager erlauben also eine genauere Bestimmung der Herkunft der Lagerbewohner:innen. Sie bestätigen zudem Frankreich als Herkunftsort der Insassen einer Baracke. Analysen von zeitgenössischen Luftbildern und die archäologischen Ergebnisse zeigen deutlich, dass das Lager nicht in allen Bereichen entsprechend der Planung umgesetzt wurde. Mehrere projektierte Baracken wurden nicht gebaut.

Die langgestreckten Holzbaracken standen auf einem Raster aus kurzen Holzpfählen. Sie hatten einen langen Mittelgang sowie links und rechts abgehende Stuben. An einem Schmalende befand sich ein Wasch- und Toilettenraum, der bei einer Belegung von weit mehr als 100 Personen als völlig unzureichend angesehen werden muss.

Mehrere zickzack-förmige Splitterschutzgräben säumten das Richthofenlager. Diese nur schwach befestigten Luftschutzanlagen waren ebenso wie die Baracken für die große Anzahl an Menschen deutlich zu klein dimensioniert, so dass in ihnen im Falle eines Luftangriffes eine kaum erträgliche Enge geherrscht haben muss.

3D-Rekonstruktion. ©Klara Czarnitzki
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unterirdisch verlegter Stacheldraht am Richthofenlager
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Reste einer Baracke am Richthofenlager: Streifenfundamente, Abwasserrohre, Regenabflussrinnen
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Reste eines Splitterschutzgrabens am Richthofenlager

Lilienthal-Lager

Direkt nördlich des alten Zentralflughafens befand sich von Anfang 1943 bis kurze Zeit vor Kriegsende ein Zwangsarbeitslager der Lufthansa, über das in den schriftlichen Quellen kaum nähere Aussagen zu finden sind. Barackenreste der Schmalenden mit den Sanitäranlagen konnten archäologisch identifiziert werden. Die Baracken standen auf einem Gelände, das einstmals Teil des Columbia-Friedhofs gewesen war. Die Ausgrabungen ließen erkennen, dass man im Zuge der Vergrößerung des Flugfeldes Ende der 1930er Jahre die Gräber sehr hastig umgebettet hatte. Die nun ovale Form bot einerseits für den Flugzeugstart günstige Windbedingungen und ließ sich andererseits als „Luftstadion“ für geplante Luftschauen im Sinne der NS-Propaganda nutzen.

Im Laufe des Krieges sollte die Lufthansa den Tempelhofer Flughafen als ein nicht kriegswichtiger Betrieb verlassen. Daraufhin militarisierte sich das Unternehmen und übernahm Reparaturaufgaben von Kriegsflugzeugen, ausgeführt unter anderem von Zwangsarbeiter:innen.

Hierfür wurde ein Barackenlager direkt nördlich der Lufthansa-Hangars aufgebaut. Es war versehen mit einem Luftschutzgraben im Westen. Südlich und außerhalb des Lagers schlossen sich eine T-förmige Kantinenbaracke und ein Feuerlöschteich an. Beides gehörte zu den Flugzeughangars und dem damals noch benutzten Hauptgebäude des alten Zentralflughafens.

Eine Einzelheit der Barackenfundamente lässt erkennen, dass der amtlich zuerkannte kriegswichtige Baustoff Zement offensichtlich teilweise für andere Zwecke „abgezweigt“ worden war. Denn die oberste Lage der Streifenfundamente der Baracken zerging nach Freilegung sehr schnell. Sie bestand aus grobem Sand, Steinen, Betonbruch und kaum Beimischungen des hierfür offiziell zugeteilten Zements.

Lage des Lilienthallagers am Alten Flughafen
Streifenfundament einer Baracke aus dem Lilienthallager

Lager Berliner Straße

Die Weser Flugzeugbau GmbH hatte noch in den späten Kriegsjahren eine große Barackenstadt am Südwest-Ende des Feldes geplant. Die Pläne wurden jedoch nur teilweise umgesetzt und die archäologisch angetroffenen Barackenreste befanden sich in einem sehr schlechten Zustand. Einzig die Reste eines Splitterschutzgrabens waren gut erhalten. Die dort gefundenen Beton-Fertigbauteile stammten von der Firma Stoltz.

Lage des Zwangsarbeitslagers Berliner Straße/Tempelhofer Damm
Reste eines Splitterschutzgrabens im Lager Berliner Straße